19.09.22

MADE IN LICH

MADE IN LICH

Der Ketchup „Vom Heiligen Stein“: Ehepaar aus Lich landet Riesenerfolg mit eigener Manufaktur

von Ursula Sommerlad

Boris und Nina Sauerborn aus Lich produzieren ihren eigenen Ketchup unter dem Label „Vom Heiligen Stein“. Während Corona explodierte das Geschäft.

Lich/Ober-Bessingen – Er: gelernter Jurist: Sie: Grundschullehrerin und Waldorf-Pädagogin. Gemeinsam ausgeübter Beruf: Ketchup-Produzent. Mit ihrem Label »Zum Heiligen Stein« haben Boris und Nina Sauerborn aus Ober-Bessingen einen Hit gelandet. Der Erfolg »Made in Lich« hat sie am Anfang selbst überrascht.

Die Produktionsstätte wirkt funktional und eher karg. Ein paar Büros. Ein Lager. Der Versand. Und das Herzstück: die Küche. Viel Edelstahl und in der Mitte ein großer Kocher. Was reinkommt, verraten die Macher nicht so genau. Was rauskommt, ist in vieler Munde. Rund 100.000 Gläser mit Ketchup »Zum Heiligen Stein« haben Boris und Nina Sauerborn im vergangenen Jahr verkauft. 98 000 Gläser mehr als beim Start vor sechs Jahren.

Damals war die Manufaktur noch in einer ehemaligen Bäckerei im Ortskern von Muschenheim untergebracht, die Küche dort maß gerade mal zwölf Quadratmeter. Im vergangenen Herbst sind die Eheleute und ihr Team in die Halle am Rand von Ober-Bessingen umgezogen. »Seit wir hier sind, macht es richtig Spaß«, sagt Boris Sauerborn.

Ketchup aus Lich: Soße für Lamm-Currywurst gesucht – „Anrufe aus Düsseldorf und Holland“

Ketchup wollte der gelernte Jurist mit »draufgesatteltem MBA« eigentlich nie herstellen. Er hatte ganz andere Pläne. »Unser Koch hat das Rezept entwickelt, weil wir Lammbratwurst vermarkten wollten«, sagt er. Um diesen Satz zu verstehen, muss man kurz Rückschau halten. 2010 waren die Sauerborns in Muschenheim mit einem eigenen Restaurant an den Start gegangen, »Zum Heiligen Stein«, benannt nach dem Megalithgrab, das hoch über dem Dorf thront. »Wir haben viel selbst produziert«, erinnert sich Boris Sauerborn. Auch die deftigen Lammbratwürste, deren Fleisch von der eigenen Herde stammte.

Für eine Lamm-Currywurst kreierte der damalige Chefkoch eine eigene Sauce. »Ich mach’ da mal was«, habe er gesagt. »Und dann wollten die Leute das Ketchup plötzlich kaufen.« Wenn sie davon erzählen, klingen Boris und Nina Sauerborn noch heute ein bisschen erstaunt. Schon vorher hatten sie mit Eierlikör, Pesto und Sirup experimentiert, aber die Nachfrage blieb begrenzt. Nun hatten sie ganz unverhofft ein Produkt, das die Leute haben wollten. Einfach so. Ohne Werbung. »Wir bekamen Anrufe aus Düsseldorf und sogar aus Holland. Das war eine ganz andere Dimension.«

Ketchup „Made in Lich“: Eigene Abfüllung, keine Konservierungsstoffe

Aus der Restaurantküche zog die Ketchup-Produktion 2015 in die ehemalige Bäckerei um. Aber auch dort musste noch viel improvisiert werden. »Bis letztes Jahr haben wir den Ketchup von Hand abgefüllt«, erzählt Boris Sauerborn. Jetzt erleichterte eine Abfüllanlage die Arbeit. Die Produktion selbst ist unkompliziert. Man nehme italienisches Tomatenmark, französischen Himbeeressig, Tafelessig, Rohrzucker und Gewürze und lasse die Mischung kochen. Das war’s. Konservierungsstoffe oder Verdickungsmittel sind nicht nötig.

Die genaue Rezeptur ist Betriebsgeheimnis. Ein paar Details verraten die Sauerborns aber doch. Zum Beispiel, dass die Geschmacksrichtung »würzig« die Ur-Sauce war. Die entschärfte Variante heißt »mild«, der scharfe Ketchup wird mit einem Plus an Cayenne-Pfeffer aufgepeppt.

Während der Pandemie, als die Leute alle zu Hause kochten und schlemmten, kamen zwei weitere Variationen dazu: »rauchig« mit natürlichem Hickory-Raucharoma und fruchtigen Preiselbeeren, trüffelig mit Trüffelpesto. An beiden Rezepturen hat Nina Sauerborn lange herumgetüftelt. Die Aromen sollten so fein sein, »dass einen der Geschmack nicht den ganzen Tag begleitet«, wie sie sagt. Bei der rauchigen Variante hatte sie zudem eine Barbecue-Sauce im Sinn, die ihr vor vielen Jahren in den USA so gut geschmeckt hatte. Ob sie Wert darauf legt, dass die Produkte ihr selbst schmecken? Die Antwort ist eindeutig. »Na klar. Sonst könnte ich sie nicht vermarkten.«

Von mild bis würzig: Ketchup aus Lich bekommt zwei Sterne beim „Great Taste Award“

Bei den Kunden kommt übrigens der würzige Ketchup am besten an. Die Juroren des britischen »Great Taste Award« dagegen bewerteten den milden am besten, mit zwei von drei möglichen Sternen. Das macht insbesondere die drei Kinder der Sauerborns stolz. »Mild« ist auch ihre bevorzugte Variante.

Manchmal helfen sie in Ober-Bessingen mit, die Manufaktur ist ein Familienbetrieb. Auch Boris Sauerborn, der Geschäftsführer, kann überall mit anpacken. »Das ist mein Anspruch.« Seine Frau, die sich um Buchhaltung, Social Media und den Online-Shop kümmert, ist 2018 ins Geschäft mit eingestiegen. »Hier kann ich meine Zeit flexibler gestalten als in der Schule«, sagt sie. »Außerdem arbeiten mein Mann und ich gut zusammen.« Neben den Eheleuten gehören drei Vertriebler und ein Koch zum festen Team; dazu kommen ein paar Aushilfen.

Ketchup „Vom Heiligen Stein“ erlebt Boom durch Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat dem Ketchup »Vom Heiligen Stein« einen unerwarteten Boom beschert. Der Krieg in der Ukraine hat das Wachstum nun wieder gebremst. »Bei Premium-Produkten halten sich die Leute im Supermarkt zurück«, weiß der Geschäftsführer. In Hofläden oder Feinkostgeschäften mache sich solche Vorsicht weniger bemerkbar. Kopfzerbrechen bereiten dem Chef auch die gestiegenen Produktionskosten. Allein Tomatenmark sei um 75 Prozent teurer geworden. »Bislang haben wir die Preise nicht erhöht«, sagt Sauerborn. »Aber das wird kommen.«

Die Entwicklung neuer Geschmacksrichtungen steht in dieser Situation erst einmal nicht auf der Agenda. Einige Extras haben die Sauerborns aber jetzt schon im Sortiment: Fruchtaufstriche aus Obst, das im Garten der Muschenheimer Neumühle wächst. Und Wein, der den Eheleuten »über den Weg gelaufen ist« und der ihnen geschmeckt hat. Drei Sorten, weiß, rosé und rot. Das freundliche Schaf, das die Etiketten für diese Hausedition ziert, hat die Berliner Illustratorin Lisa Sauerborn entworfen, die Schwester des Geschäftsführers. Sie hat auch das »Heilige-Stein-Logo erdacht. Ein weiteres Familienmitglied mischt sogar posthum noch mit: Boris Sauerborns verstorbene Oma Mia. Ihr Credo »Es gibt nichts Besseres als Selbstgemachtes« steht auf jedem Ketchup–Glas, das die Manufaktur verlässt.

Sauerborn hat dazu eine schöne Geschichte parat. Auf einer Messe sei neulich eine Mitarbeiterin mit grauen Haaren im Einsatz gewesen. Und prompt kam die Frage: »Sind Sie die Oma Mia?« (Ursula Sommerlad)